Montag, 30. März 2009

Sydney






Wer auf einer Reise ist, möchte natürlich sicherstellen, dass ihm die schönsten Dinge nicht entgehen und bereitet sich daher mit einem Reiseführer auf die lohnenswerten Ziele vor.
Wer auf einer langen Reise ist, kann sich natürlich nicht auf alle Reiseziele vorbereiten, dies wird dann unterwegs kurz vorher erledigt. Es wird ja behauptet, Pädagogen seien mit dieser Art der Vorbereitung, auch Türschwellendidaktik genannt, sehr gut vertraut.
Wer nun auf einer sehr langen Reise ist, wird nicht immer alle entsprechenden Reiseführer in seinem Rucksack mit sich herum tragen können, so dass durchaus häufig die Reiseführer anderer Reisender herhalten müssen.
Dirk aus München, mit dem wir in Sydney das Vierbettzimmer im Harbour City Hostel teilten, war so nett, uns seinen "Dumont direkt" auszuleihen.
Tja, liebe Freunde, da blieb uns aber die Spucke weg. In diesem Reiseführer erhielten wir nicht nur zusätzliche Informationen über Sydney, uns wurden auch gleich wichtige Details über unsere Heimatstadt mitgeliefert. Zitat: .... Hier (in Sydney) addieren sich die jährlichen Sonnenstunden zu Zahlen, die für mitteleuropäische Verhältnisse utopisch wirken. Es liegt auf der Hand, dass die Bewohner einer Stadt, wo an 300 Tagen das Meer vor der Haustür liegt und zum Schwimmen und Surfen lockt, entspannter und lässiger sind als etwa die Menschen in Recklinghausen und Paderborn, dass hier vielen das Arbeiten schwer, das Leben aber umso leichter fällt. In kaum einer anderen Weltmetropole ist das Freizeit- und Wochenendbewusstsein so ausgeprägt wie hier. Kaum jemand kommt auf die Idee, am Samstag oder Sonntag noch einmal ins Büro zu fahren, ... Zitatende.
Schlagartig wurde uns klar, wo sich all unsere Recklinghäuser Freunde versteckt hielten, die das eine oder andere Mal am Wochenende telefonisch nicht zu erreichen waren.
Dabei brauchen unsere "angespannten" Freunde, wie wir meinen, jetzt kein schlechtes Gewissen zu haben. Der Autor ist doch arg unausgewogen und unterschlägt, dass zu viel Lässigkeit auch schnell nach hinten losgehen kann. Anders können wir uns nicht erklären, dass der deutsche Architekt Harry Seidel mit seinem Bauvorhaben hier so dermaßen auf die Nase fiel. Sechs Hochäuser wurden von ihm geplant, natürlich in Strandnähe und mit Blick auf die Harbour Bridge und dem dahinter liegenden Opernhaus. Da kann ja eigentlich nichts schiefgehen, sollte man meinen, aber anstatt am Wochenende die Entwürfe seinen Kollegen vorzustellen, zu diskutieren und zu überarbeiten, hat sich Harry Seidel wohl mit seinem Surfbrett in die Brandung gestürzt. Nun gut, als das erste Gebäude fertig war (s. 2. Foto, helles Hochhaus unten links), sah es aus wie ein großer, rechteckiger Schweizer Käse. Nicht, dass die Sydneysider keinen Käse mögen, aber das war dann doch des Guten zuviel. Es fand sich niemand, wirklich niemand, der im hässlichsten Gebäude der Stadt wohnen wollte. Der Bauauftrag für die restlichen Gebäude wurde Harry von den Stadtvätern kurzerhand entzogen. Am Ende sah sich die Stadt gezwungen, das Hochhaus zu erwerben und die zum Kauf angebotenen Wohneinheiten als spottbillige Mietwohnungen anzubieten. So lässt es sich in Sydney für 'nen Appel und 'nen Ei sehr günstig wohnen. Die Sache hat nur einen Haken: Die Mietverträge sind auf zehn Jahre festgelegt.
Harry Seidels Desaster lässt sich im Reiseführer nicht nachlesen. Die Geschichte wurde uns auf der Harbour Bridge in 134 m Höhe von unserer Führerin (oder besser: Erlebnispädagogin + Dozentin + Fotografin) vorgetragen.
In den zwei Stunden, in denen Kira und ich auf, in und unter den Stahlträgern dieser wunderschönen, weltgrößten Bogenbrücke herum geturnt sind, hatten wir ausreichend Gelegenheit, den Hauseingang des "Schweizer Käses" zu beobachten. Wir sahen niemanden, wirklich niemanden, in das Haus hinein- oder hinausgehen.
Auf der anderen Seite der Brücke hingegen - dem architektonischen Meisterwerk schlechthin - gingen Massen ein und aus. Auch wir selbst waren vom Opernhaus absolut begeistert und fotografierten es nicht nur aus allen erdenklichen Perspektiven, sondern überzeugten uns auch von der gelungenen Innenarchitektur, indem wir abends im großen Konzertsaal einem Potpourri (danke, liebe Minja, für die orthographische Unterstützung) bekannter Musicalstücke lauschten. Die hochgelobte Akustik konnte unseren Erwartungen mehr als gerecht werden.

1 Kommentar:

minja hat gesagt…

Hallo lieber Dichterfürst nebst Damen so hold! Gegrüßt seid ihr alle. Habe mich soeben(hier ist 23.oo Uhr) vor dem Insbettgehen hingesetzt und genüßlich Jörgs Reisebericht gelesen. Schön, dass ihr wieder mal das Beste daraus gemacht habt und es offensichtlich geniessen könnt. Nun müßt ihr von Kiki Abschied nehmen, was euch deien sicher nicht so leicht fallen wird. Wer klettert denn nun mir dir, Jörg, auf Brücken rum.
Potpourri - Die Bezeichnung für "aus verschiedenen Melodien zusammengestelltes Musikstück, Melodienstrauß" wurde im 18. Jahrh. aus frz pot-pourri entlehnt, eigentlich ein Eintopfgericht. Die wörtliche Bedeutung des frz. Wortes ist "verfaulter Topf". Du hättest auch das modernere Wort "Medley" verwenden können. Nun komme ich mir auch schon fast wie eine Lehrerin vor. Ich hoffe, dass unser Telefongespräch morgen klappt, sonst werde ich eine e-mail schicken. Küsschen an euch Minja