Mittwoch, 4. Februar 2009
Die schönsten Stücke schreibt das Leben selbst
1. Akt
Frauke überreicht Jörg den kleinen, dunkelbraunen Kopf aus gebranntem Ton: "Den hast du doch gemacht, erkennst du ihn noch?"
Jörg betrachtet ihn eingehend. Auf der Unterseite ist "Simon JSW 88" eingeritzt worden. Erinnerungen nehmen langsam Gestalt an: "Ja, jetzt erkenne ich ihn wieder, natürlich, hatte ich echt ganz vergessen!"
Diese Arbeit seines Geistes und seiner Hände ist wie manches Andere dem Vergessen zum Opfer gefallen. Simon war damals gerade 2 Jahre alt gewesen. Gerade eben stand er ihm wieder gegenüber, selbstbewusster Blick, der erste Bart im Gesicht, ein modischer Hut auf dem Kopf und ihn selbst um ein gutes Stück überragend.
"Hatten wir nicht damals, als der Tonkopf entstand, am Jahresende einen gemeinsamen Urlaub auf Sylt, im Ferienhaus deiner Eltern verbracht? Das Dach gedeckt mit Reet, wie alle Häuser in der Umgebung, Dünen, Sand, stille, klare Nächte und keine Raketen in der Sylvesternacht?"
Rasch drehen sich die Gespräche um vergangene Momente. Die Muscheln, nach denen wir damals auf Sylt im Sand gruben, sind heute die Erinnerungen an gemeinsame Erlebnisse.
Erstaunlich, wie schnell die Nähe wieder da ist, diese Vertrautheit, auch wenn Jahre dazwischen liegen.
Frauke und Jogi gehören mittlerweile hierher. Freundschaften sind entstanden, besonders der zweite Sohn Danny spricht kaum noch Deutsch.
Es ist schön mit ihnen.
Jogi ist immer noch voller Energie und Kreativität. Selbst heute am Sonntag inszeniert er den ganzen Tag lang ein Theaterstück.
Jörg hat gerade eines seiner Bücher angelesen: Dead River Oaks
Es ist am Anfang etwas irritierend, Erzählfragmente setzen sich zu Bildern von einem Mord und einer Dreiecksbeziehung zusammen. Jörg fühlt sich angeregt, merkt aber nach einer halben Stunde, dass der gestrige Nachtflug noch seine Finger nach ihm ausstreckt und legt sich schlafen.
Unter der dünnen Bettdecke - hier ist ja jetzt Sommer - denkt er noch einen Augenblick darüber nach, wie eine interessante Geschichte inszeniert sein muss und kommt zu dem Schluss, dass letztlich der Leser selbst entscheidend ist, der sich auf seine eigene Neugierde einlässt.
Noch ist Jörgs Neugierde - auch was das Reisen betrifft - nicht erloschen, und auch wenn ihm diese Ideen im Grunde banal erscheinen, geben Sie ihm ein wohliges Gefühl der Zufriedenheit, und er schläft entspannt ein.
Es dauert nicht lange, bis sich Bilder aus der Vergangenheit in die Welt seiner Träume schleichen.
2. Akt
Nach den üblichen Erörterungen, vor allem zu den Pflichten der Eheleute, fordert der etwas steif wirkende Standesbeamte am 13.12.1985 im Bezirksamt Hamburg-Altona zum Austausch der Eheringe auf. Vor ihm sitzen zwei hochschwangere Frauen, eingerahmt von den scheinbar extra für diesen Anlass fein heraus geputzten Verursachern des kugelrunden Zustandes.
Heiratswillige sind im Allgemeinen wohl eher abergläubisch und heiraten ungern an einem Freitag, zumal wenn es ein 13ter ist. Die anwesenden Paare werden an diesem Tag die Einzigen sein, die sich trauen.
"Wir haben keine Ringe", geben Frauke und Jogi dem Standesbeamten unbeschwert zu verstehen. Mit einem Lächeln im Gesicht ergänzen Sabine und Jörg: "Aber wir haben Ohrstecker!"
Als die kleinen Schmuckstücke, von zittrig-feuchten Fingern geführt, ihren Weg in die winzigen Ohrläppchenlöcher finden, kommt der Standesbeamte aus dem Staunen nicht mehr heraus.
Nach der Trauung wird die ältere Generation nach Hause geschickt, die jungen Eheleute aber trinken mit ihren Freunden noch gemütlich einen Kaffee, um im Anschluss, am Ufer der Elbe sitzend, dem träge im Wasser dahin treibenden Strandgut nachzublicken.
3. Akt
Sieben Jahr später verlassen beide Paare ihre Heimatstadt. Frauke und Jogi kehren Deutschland den Rücken zu und suchen ihr Glück in Melbourne. Sabine und Jörg verschlägt es nach Recklinghausen - nicht ganz so weit.
Der Kontakt wird seltener. Die Erstgeborenen wachsen stetig heran und mit ihnen die jüngeren Brüder.
Viel Wasser fließt die Elbe hinunter ins große, alles verbindende Meer.
Irgendwann reift die Idee für einen Besuch in "down under".
2001 wird schließlich ein Plan geschmiedet und fleißig gespart.
4. Akt
Am 24.1.2009 landet in den frühen Morgenstunden auf dem Flughafen von Melbourne ein aus Rarotonga kommendes Flugzeug. An Bord befinden sich Sabine und Jörg, kräftig durchgeschüttelt und etwas müde. Das Gepäck ist schnell in Empfang genommen, die übrigen Formalitäten zügig erledigt.
Draußen vor dem Flughafengebäude warten sie nicht allzu lange auf einen silbernen Opel mit einem - wie könnte es anders sein - Sylt-Aufkleber an der Kofferraumklappe.
5. Akt
Gegenwärtig in Arbeit.
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen